Sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren Gemeinderäte,
wir bitten Sie, bei Ihrer Beschlussfassung zum geplanten neuen Mountainbike-Projekt in Waldbrunn unsere Fragen und Argumente zu bedenken. Hiermit erhalten Sie diesen Brief, den wir Ihnen per Post geschickt haben, auch per E-Mail, damit Sie die Links anklicken und die Anlagen einsehen können.
Als Umweltvereinigung bejahen wir auch weiterhin die bereits bestehende 15-km lange Mountainbike-Strecke, das jährliche MTB-Festival und die bisherige Organisation. Wir unterstützen sehr wohl Fahrrad- und auch Mountainbike-Freizeitangebote, aber nicht in einer Form, die derart im Kontrast zu Natur- und Artenschutz, Landschaftsschutz, FFH- und Vogelschutz-Richtlinien und zudem auch zum Status des faktischen Vogelschutzgebiets Odenwald stehen wie das, was hier in Waldbrunn nun geplant ist. Das heißt Radtourismus und Freizeit – Ja; „BikeLänd“-Infrastruktur als gravierender Eingriff in den Naturschutz – Nein.
Die für das neue MTB-Projekt angestrebten Ziele, die nun vollmundig beworben werden, könnten alle auf der bereits bestehenden 15 km-Strecke umgesetzt werden. Sie würde für diese Zwecke vollkommen genügen. Dazu bräuchte man keine neue, doppelt so lange Strecke, deren 29 km lange Trails durch sensible Naturgebiete führen, „überwiegend auf Waldwegen“ (laut Projektpräsentation in der Gemeinde am 14.11.24). Doch über diese berichten die Initiatoren ebenda: „Diese Strecke hat sich nicht bewährt, wird nicht gefahren und nicht mehr beschildert/gepflegt“. Warum denn nicht mehr? Ist sie zu langweilig, fehlt der Nervenkitzel von schmalen, steilen, „geilen“ Trails? Auch eine neue würde irgendwann genauso an Attraktivität verlieren, doch der Schaden wäre dann schon angerichtet.
In Deutschland werden immer stärkere Konflikte um Mountainbike-Sport und Naturschutz werden offensichtlich: Bewegung in der Natur ist gesund – zu Fuß, als auch mit dem Rad und erlaubt Einblicke und Verständnis für die Natur. Daraus gründet sich oft eine Wertschätzung für die Schutzbedürftigkeit von Natur- und Landschaft. Ist dies aber auch beim Mountainbike-Sport immer der Fall? Die neueren Mountainbike-Trends legen ihren Fokus auf technisches Können, Bewältigung gefährlicher Situationen und Fahren bei großer Geschwindigkeit.
Hier kann unterstellt werden, dass dabei kaum Zeit bleibt, die Natur als solches wahrzunehmen. Pflanzen, Pilze, Flechten und Moose, Insekten, Reptilien, Vögel, Rehe, Hasen und Igel – all diese Impressionen am Rande einer Downhillstrecke wird kein Mountainbiker wahrnehmen, wenn der Fokus auf Geschwindigkeitsrausch und Technik liegt. Die IHO steht dieser neuen Trendsportart daher skeptisch gegenüber, wenn diese an den falschen Stellen ausgeübt werden soll.
Die Ehrfurcht vor der Natur geht mit manchen aktuellen Entwicklungen weitgehend verloren – und zwar in vielen Bereichen. Bei allem Verständnis für den Reiz der Sportart: Erholung und Sport sollten sich in der offenen Landschaft in geordneten Bahnen bewegen. Die Bestimmungen der Schutzgebiete beinhalten meist ein Wegegebot. Auch darüber hinaus ist nach §14 Abs. 1 Bundeswaldgesetz das Radfahren im Walde nur auf Straßen und Wegen gestattet. Querfeldein führende Downhillstrecken für Mountainbiker werden daher häufig illegal angelegt. Hierbei werden die Natur und die dort lebenden Arten stark beeinträchtigt. Auch Bürger, die in aller Stille die Erholung in der Natur auf zugelassenen Wegen präferieren, werden durch die häufig zu schnellen und teilweise rücksichtslosen Mountainbiker belästigt. Soll unser Wald als wichtiges Ökosystem, Habitat seltener Tierarten, Wasserspeicher mit Schutzfunktion sowie Erholungsraum für die Allgemeinheit leichtfertig und unwiederbringlich dem zerstörerischen Spaß einer kleinen Gruppe geopfert werden? Ist Spaß haben offenbar wichtiger als der Schutz der Umwelt?
Wir bitten sie daher, folgende grundsätzliche Fragen zu überdenken:
Wollen Sie für Waldbrunn ein naturverträgliches Fahrrad- und Mountainbike-Angebot für Einheimische und Gäste incl. Kinder – wie es bisher im Wesentlichen besteht
oder
eine „Bike-Freizeitpark“-Infrastruktur für Downhill-Spaß und Nervenkitzel quer durch das Waldökosystem ohne Rücksicht auf Schäden an der Natur?
Welches „Umweltbewusstsein“ wollen wir unseren Kindern mit auf den Weg geben? Wald/Natur als lebendiges und gleichermaßen verletzliches (vulnerables) Ökosystem zu begreifen, in das wir als Mensch eingebunden sind und das wir rücksichtsvoll und mit dem Bewusstsein einer Mensch-Natur-Verbundenheit „sanft“ und nachhaltig nutzen?
oder
Wald/Natur-Ökosystem nur als Kulisse und Mittel für sportliche Herausforderung und Nervenkitzel zu konsumieren?
Fakt ist: die geplante MTB-Streckenerweiterung in Waldbrunn führt durch wertvolle, sensible, teils bereits geschützte Landschaftsbereiche. Sie berücksichtigt nicht die Schadensrisiken, speziell nicht die im FFH-Gebiet und faktischen Vogelschutzgebiet vorkommenden Arten. Die IHO sieht deshalb das Projekt kritisch. Vor allem stellt sich die Frage, ob die Szene der Mountainbiker, die nachweislich häufig illegal ihre Sportart abseits der offiziellen Wege auch durch Schutzgebiete hindurchführt, sich in der Form überhaupt regulieren lässt? Oder wird das Interesse an dieser Sportart nicht noch weiter geweckt, gerade wenn ausgetragene Wettkämpfe zunehmen? Es ist mit Recht zu befürchten, dass sich weitere Strecken an völlig unpassenden Stellen bilden, wie in anderen MTB-Projekten beobachtet. Wird die Natur beim Zulassen solcher Entwicklungen nicht noch mehr zur reinen Spaßkulisse verkommen? Wollen Sie eine Konsumhaltung gegenüber der Natur unterstützen?
Die für Waldbrunn geplante Mountainbike-Streckenerweiterung würde mit ziemlicher Sicherheit Schäden an der Natur nach sich ziehen, die in anderen MTB-Freizeitparks bereits nachgewiesen sind:
- Zerstörung nachwachsender Triebe, Freilegen des Wurzelwerks und damit letztlich Verödung und Zerstörung des Waldes
- Verdichtung des Waldbodens durch die Biker und demzufolge Bodenerosion und die Gefahr von Sturzbächen bei Starkregen
- Zunehmende Zerschneidung bisher weitgehend zusammenhängender Habitate und daraus resultierend funktionale Störungen (bspw. Scheuchwirkungen, Brutabbrüche usw.) bis hin zur Tötung (bspw. auf Amphibien bezogen) von betroffenen Wildtierarten, insbesondere bzgl. Arten des Anhangs I der Vogelschutz-Richtlinie sowie Arten des Anhangs II, III u. IV der FFH-Richtlinie.
- Somit können FFH-Lebensraumtypen bzw. Habitate und Lebensstätten in ihrer ökologischen Funktionalität geschädigt werden.
- Davon betroffen sind u.a. folgenden Arten: verschiedene Amphibien wie der Feuersalamander u.a., die vor Ort wieder nachgewiesene Europäische Wildkatze, Waldvogelarten des Anhangs I der Vogelschutz-Richtlinie wie Schwarzstorch, Wespenbussard, Rotmilan usw., die nachweislich in diesen Bereichen ihre Bruthabitate bis hin zu Nahrungshabitaten haben.
- Insbesondere während der Reviereinnahmezeit und der Aufzucht der Jungvögel besteht erhebliches Risiko der Störung mit Brutabbrüchen und dadurch Populationsrückgängen. Dies wirft in Bezug auf die Vogelschutz-Richtlinie und explizit in Bezug auf den Status „Faktisches Vogelschutzgebiet“ erhebliche umweltrechtliche Konflikte auf!
- Eine vollständige FFH-Verträglichkeitsprüfung ist als Minimum erforderlich!
- Aber auch der Landschaftsschutzgebiets-Status mit Schutz der Lebensstätten und Lebensgemeinschaften in der LSG-Verordnung greift an dieser Stelle!
- Ergänzend angemerkt können geschützte Insekten-Arten wie Hirschkäfer, Spanische Flagge usw. betroffen sein.
Zwei Beispiele von aktuellen, illegalen Trails im „Bikeländ“ Eberbach und Eindrücke, wie Natur als „Nervenkitzel“ in der Realität aussieht:
https://youtu.be/CR57YoCoj7M?si=l8y-CVp4vIGk50-X „Ballern im Bikeländ“
www.ride-mtb.com/de: Bikeländ Eberbach: „die härtesten offiziellen Trails in Deutschland“
Die Problematik der Mountainbike-Trails in einem Video des ‚Amphibien-Reptilien Biotop-Schutzes Baden-Württemberg‘: https://youtu.be/0dE6zhQzOXw?si=j7oA-6Z_n2y2eX5q
Dem Umweltministerium Stuttgart, der unteren Naturschutzbehörde und Forstbehörde des Rhein-Neckar-Kreises sind die Probleme, v.a. der häufigen illegalen Strecken bekannt. Die zuletzt erteilte Genehmigung für das ‚Bikeländ‘ Eberbach wurde zunächst zeitlich auf fünf Jahre (bis 2027) befristet, die Teilstrecke „Itterberg 2“ abgeledhnt*, eine zukünftige Streckenerweiterung ausgeschlossen. Die behauptete Besucherlenkung funktioniert eben häufig nicht, die Regeln werden oft nicht eingehalten. Beides kann in der Praxis nicht wirklich kontrolliert werden.
Gleiches ist für das „Bikeländ BackCountry“ Waldbrunn zu erwarten. Es geht hier nicht um einen naturschonenden Radsport, sondern um einen Freizeitpark mit erheblich größerer Frequentierung und schädlichen Auswirkungen auf die betroffenen Gebiete. Es sind Verstöße zu befürchten gegen nationale und EU-rechtliche Grundlagen mit Störungen von Brut- und Nahrungshabiten, Biotopen und funktionalen Lebensräumen. Nochkönnen Sie durch Ihre Stimme diesen Umgang mit der Natur lenken.
Wir weisen zudem auf die Risiken von Unfällen hin: Unfälle der MTB-Fahrer selbst oder durch deren Zusammenstoß mit Wanderern, deren Kindern und Hunden, sowie eventuell mit Wildschweinrotten. Rettungsfahrzeuge oder die Feuerwehr könnten nur unter Erschwernissen zu bestimmten Streckenabschnitten fahren, z.B. in der Eisigklinge. Zudem stellt sich die Frage der Haftung für die Gemeinde.
Mit dem Projekt würde eine Minderheit bedient; den möglichen Gewinn für die Bürger, für Tourismus und Gastronomie schätzen wir als gering ein. Auch wenn bei einer Genehmigung mit Hunderten von Bikern an Wochenenden in Waldbrunn zu rechnen ist, so kommen die meisten erfahrungsgemäß mit dem Van oder Camper, (belegen die Parkplätze), fahren abends wieder nach Hause oder übernachten im eigenen Fahrzeug. Verzehrt wird allenfalls in Außenbetrieben von Restaurants, Bistrops oder Cafés.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Dorothea Fuckert
Joachim Wallenwein
(Für den IHO-Vorstand)
*“Der „Blaue Itterberg 2 Trail“ kann nicht genehmigt werden, da erhebliche Konflikte mit Fußgängern und Wanderern in diesem Bereich zu befürchten sind. …Eine gemeinsame Nutzung des Weges durch Fußgänger und Mountainbiker erscheint problematisch, da es sich um Steilhanggelände handelt und keine Ausweichmöglichkeiten bestehen. Außerdem liegt der ‚Blaue Itterberg 2 Trail‘ im Bereich von Feuersalamander-Vorkommen.“
Anlagen